Ungewöhnlich

  • Heute habe ich etwas merkwürdiges an einer meiner Kakteen entdeckt.
    Ist ein solches Phänomen ungewöhnlich, oder kommt so etwas öfter vor?
    Aus der aufgeplatzten Stelle drückt sich ein Kindel heraus. Aber seht selbst.

  • Nein, eine Erklärung habe ich auch nicht. Aber bei mir trat dasselbe Phänomen auf - allerdings kam eine Blüte zum Vorschein, die sich aus dem Kaktusinneren herauszwängte. Auf dem letzten Bild die Blüte, wie sie sonst aussieht.

  • So eine Kindelbildung ist nicht so häufig, kommt aber schon vor. Gestern hatte ich das zum Beispiel an einem Vermehrungsstumpf der viele Schnittnarben hatte und bei dem die Pflanze dann einen anderen Weg gesucht hat zu kindeln. Ich glaube es hat einfach damit zu tun dass die Pflanzen unbedingt Kindel bilden wollen und dafür auch in Kauf nehmen dass das Kindel an ungewöhnlichen Stellen gebildet wird.
    Das mit der Blüte von Sabine habe ich so auch noch nicht gesehen, aber manchmal bilden sich Kindel zu Blüten (und umgekehrt) so dass das eventuell vom Prinzip ähnlich ist.

  • Patricks Meinung, dass das ungewöhnliche Austriebsverhalten zu Kindeln sowie zu Blüten prinzipiell ähnlich ist, sehe ich auch so. Die Areolen unserer Pflanzen sind ja reduzierte Triebe, also Kurztriebe und haben eine Sprossachse. Die verhält sich ähnlich, wie an anderen Pflanzen die ruhenden Knospen und ihnen können Kurz- oder Langtriebe entspringen. Beim Apfelbaum Blätter und Zweige und bei unseren Kakteen weitere Dornen (= reduzierte Blätter) oder Kindel. Aus Sprossachsen können auch generative Triebe mit begrenzten Wachstumsmöglichkeiten entstehen - also die Blüten an der Sprossachse des Apfelbaums oder der Areole am Kaktus. Soweit die Ableitung das der ungewöhnliche Sprossvorgang sowohl zur Kindelbildung wie auch zur Blüte führen kann.

    Vermutlich muss es in begrenztem Rahmen irgendwo im Pflanzenkörper (evtl. im Leitbündelgewebe?) die genetische Anlage geben an vorher nicht erkennbarer Stelle einen Sprossvorgang auszulösen. Ich sehe diese Vermutung auch bestärkt im Wuchsverhalten von Astrophyten. Da ist relativ oft zu sehen, dass eine geköpfte Pflanze nicht aus einer Areole (einem also vorhandenen reduzierten Kurztrieb mit vorhandener Sprossachse) austreibt sondern direkt aus dem mittigen zentralen Leitbündelgewebe Austriebe (Kindel) hervorbringt.

    Vielleicht kann es einer unserer Botaniker exakter beschreiben oder mich korrigieren, wenn meine laienhaften Kenntnisse hier fehlerhaft oder unvollständig sind.

    Herzliche Grüße
    Hans-Jürgen

  • Hallo Bernhard,
    sollte der Ausgangspunkt für ein "notfallmäßiges" bzw. unregelmäßiges Sprossen tatsächlich im zentralen Leitbündelsystem liegen, passiert bei typischen Areolenpfropfungen nichts mehr. Die Areolen haben wir in der Regel deutlich davor abgeschnitten. Entscheidend wäre das Wissen ob auch an Leitbahnen, die vom Hauptbündel abzweigen, etwa zur Areole hinführen, dieser Vorgang auch starten kann.


    Viele werden schon gesehen haben, dass aus einer abgeschrägt entfernten Areole ein Austrieb erfolgt. Das ist zwar thematisch etwas anders - liegt aber in der gleichen Richtung.


    Mein weiterdenken: könnte man das Leitbündel am irgend einer Stelle anregen, so zu verfahren? Und wenn dann wie?


    Herzliche Grüße
    Hans-Jürgen

  • Ok, ja, dann haben wir drei Abstufungen wann ein "Notsprossen" ohne Areole eventuell stattfinden kann:

    • aus dem zentralen Leitbündelsystem (siehe Beispiele hier im Thread)
    • aus Leitbahnen, die vom Hauptbündel abzweigen (fraglich)
    • ohne alles bzw. aus Leitbahnen, die vom Hauptbündel abzweigen jedoch der Länge nach angeschnitten wurden. Siehe Pfropfungen von Astrophytum caput-medusae (für EH/TH fraglich)


    Idee zum experimentieren: unsere bisherigen Rippenpfropfungen um 90 Grad drehen, also die Areole entfernen und ein Stück so schneiden, dass ein Schnitt mitten durch die Leitbahnen zum inneren der Pflanze stattfinden. Die angeschnittene Leitbahn, die vom Hauptbündel abzweigt sollte dann direkt auf die geschnittene Unterlage kommen.
    Das wäre dann quasi das Verfahren der Astrophytum caput-medusae bei Kugelkakteen.
    Wenns funktioniert hätte das den Vorteil, dass wir die Dornen beim Arbeiten nicht mit der Zange oder Schere entfernen müssten sondern, dass wir direkt alle Areolen mit dem Messer entfernen können. Und ja, vielleicht, vielleicht steigt damit die Wahrscheinlichkeit von Zufallsmutationen.... oder Chimären.


    Gruß Bernhard

  • Hallo,
    meiner Meinung nach ist der richtige Schritt, bevor eine Experimentierphase startet, die Pflanzen mit entsprechender genetischer Disposition zu selektieren. Ich gehe davon aus, dass auf jeden Fall die richtige Vorauswahl entscheidend ist. Gattung - Art - Individuen einer Art werden keine, eine latente oder auch eine höhere Wahrscheinlichkeit für dieses Verhalten mitbringen. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass es zwar experimentell interessant ist - für die Masse unserer Kakteen/Hybriden aber bedeutungslos ist.

    1.) Ich zeige ein Astrophytum mit dem vergleichbar abnormen Austriebverhalten. Ich habe die Pflanze bereits mehrfach vermehrt und auch da zeigte sich nach einiger Zeit das gleiche Verhalten mit Austrieben sowohl an Areolen als auch in den Innenkehlen der Rippen. Davon werde ich eine Vermehrung kultivieren und dann horizontal schneiden um zu testen, ob Austriebe an dem Schnitt des zentralen Leitbündelrings nachzuweisen sind.


    2.) Geduld: im letzten Dezember (2016) verabschiedete sich eine meiner selbst ausgesäten Adenien. Alle Teile der Pflanze, die meiner Meinung nach sprossen können gingen völlig verloren. da der Caudex irgendwie stabil blieb, dachte ich daran ihn als Pfropfunterlage für eine Adenienaussaat zu verwenden. Später schien es mir eher interessant, zu beobachten was da passieren wird. Zunächst nichts. Nun zeigte sich vor etwa 4 - 6 Wochen an einer am Caudex ansetzenden schwachen Versorgungswurzel ein grüner Punkt. der wurde ganz langsam größer. Für mich sieht es aus wie ein unstrukturierter Zellklumpen der zwar über Chlorophyll verfügt, aber keinen Vegetationspunkt hat um strukturiertes Wachstum zu beginnen. Ich werde es weiter beobachten.

  • Wenn man das Meristem nur knapp wegschneidet, kann es vorkommen, dass aus dem zentralen Leitbündel ein neues Meristem wächst. Es sind also auch im Innern der Pflanze noch schlafende Vegetationspunkte vorhanden.
    Wenn der Kaktus nun wächst, "verschieben" sich diese schlafenden Augen relativ zur Wachstumsspitze nach unten. Die apikale Dominanz verhindert, dass Areolen oder schlafende, innere Augen autreiben. Wenn nun aus irgendwelchen Gründen das apikale Meristem schwächelt oder weg ist, produziert es auch entsprechend weniger oder keine Hormone, welche die unterhalb liegenden Vegetationspunkte am Austreiben hindert. Dann kann es passieren, dass diese inneren Augen austreiben, und zwar abhängig von der Lage und Schwerkraft entweder als Wurzeln (weiter unten) oder als neue Triebe (weiter oben). Ich sehe dieses Verhalten als Atavismus, als Erbe der einkeimlättrigen Pflanzen, welche ja die Vorläufer der zweikeimblättrigen Pflanzen sind. Für die Monocotylen sind ja sprossbürtige Wurzeln typisch.

  • Hallo zusammen


    ich habe bis anhin diesen Thread noch gar nicht zu sehen. Nun ja, auch bei mir ist dieses Phänomen schon aufgetreten, gottlob nur eine Pflanze, denn die "Geburtswunden" hinterlassen scheussliche Narben, auf die ich gerne verzichten kann und noch einmal "gottlob" es trat an diese Pflanze nicht wieder auf Ich erachte es als eine Laune der Natur, die nur sehr selten auftritt.


    Die Hypothese von Ernst kann ich nicht bestätigen, mein Pflanze hatte keine (Scheitel-) Verletzungen, um einen Nottrieb hat es sich also sicher nicht gehandelt. Anderseits ist das Aufreissen der Epidermis, um die Blütenknospen nach aussen zu drücken, bei den Echinocereen die Regel, also nicht Ausnahme, sondern die Regel, d.h. diese Eigenschaft ist bereits in den Genen der Echinocereen vorhanden, aber auch bei anderen Gattungen, auch wenn nicht so ausgeprägt vorhanden.


    Grundsätzlich sind die Zellen in der Scheitelzone in der Wachstumszone noch nicht determiniert, d.h. aus ihnen können sich noch alle Zellarten, wie Epidermis, Leitbündel, Dornen, usw. entstehenbilden.Die nicht deteminierten Zellen dürften den Meisten heute unter dem Schlagwort "Stammzellen" bekannt sein, also Zellen die noch alle möglichen Funktionen übernehmen können . Sind die Zellen mal determiniert, ist das eine Einbahnstrasse, denn sie können sich nur noch gemäss ihrer Bestimung, z.B zu Leittbündeln, Epidermis oder Dornen ausbilden,aber nicht mehr zurück zu Stammzellen.


    Aber im Leitbündelring ein Ring aus Wachstumsgewebe, der noch nicht determiniert ist. Somit ist es diesem Ring auch möglich noch alle Zellarten, z,B. Wurzeln, Blüten oder eben auch Kindel auszubilden.Dieser Ring aus Wachstumsgewebe ermöglicht den zweikeimblättrigen ein Dickenwacshtum, etwas das die einkeimblättrigen Pflanzen nicht können. Sehr anschaulich zeigen dies die Palmen, bei denen die Stämme von unten bis oben gleich dick sind.